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Jugendprojekt "Sambo mobil - Sport gegen Ausgrenzung"


"Ein Fremder ist ein Freund, den man nur noch nicht kennt"

(Irisches Sprichwort)


Integration von jugendlichen Flüchtlingen in den Verein

hsb 1846 e.V., Abt. Sambo.“


Als wir im April 2016 mit unserem Projekt begannen, wussten wir noch nicht, welche Mühen uns in den kommenden Monaten erwarten sollten. Wir ahnten jedoch bereits, dass seine Realisierung kein Spaziergang sein würde. Zur Erinnerung: Im vergangenen Jahr tobte auf vielen Kanälen der Massenmedien ein bis dahin unbekannter Medienkrieg. Thema: Der Umgang mit Flüchtlingen.

Projektbeschreibung


Die Einstellungen polarisierten sich rasch: Auf der einen Seite gab es die Befürworter der Flüchtlingspolitik der deutschen Regierung, welche die Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland befürworteten. Auf der anderen Seite erlebten wir viel Ablehnung dieser Politik innerhalb der Deutschen und besonders deutschstämmigen russischen Bevölkerung: So berichteten die russischsprachigen Sender vom Versagen der deutschen Einwanderungspolitik, dem unkontrollierten Zuzug von radikalen Muslimen nach Deutschland und den möglichen Gefahren, die dies mit sich bringen könnten. Aufgeheizt durch diverse und diffuse Ängste, war die Stimmung in weiten Teilen der russlanddeutschen Bürgerschaft innerhalb unseres Wirkungskreises im Landkreis Heidenheim gegenüber Flüchtlingen oft ablehnend bis aggressiv. Trotz und auch gerade wegen dieser schwierigen Bedingungen und der mitunter offenen Ausgrenzung war es unser Ziel, Flüchtlinge in den Verein „hsb 1846 e.V. Abt. Sambo.“ bestmöglich zu integrieren. Wir wollten den Jugendlichen beweisen, dass Flüchtlinge keine Gefahr, sondern eine Bereicherung für den Landkreis Heidenheim bedeuten.

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir im Verein bereits einige russischsprachige Flüchtlinge in unserer Sambo-Abteilung. Sie kamen aus Dagestan oder Georgien. Ihr Bleiberechtstatus war den meisten Mitgliedern im Verein nicht bekannt. Durch ihre sportlichen Erfolge hatten sie sich im Laufe der Zeit im Verein großes Ansehen erkämpft.

Um dem Begriff „Flüchtling“ zu einem positiveren Image im Verein zu verhelfen, haben wir ganz beiläufig begonnen, im Training und auf Veranstaltungen zu berichten, dass der Trainer ein Flüchtling aus Dagestan, der Sportskamerad und deutsche Meister im Sambo ein Flüchtling aus Georgien ist. So haben wir es schnell geschafft, den Jugendlichen den Begriff des „geflüchteten Menschen“ zu erklären – und Vorurteile abzubauen. Parallel dazu nahmen wir Kontakte zu Sozialpädagogen in Flüchtlingsunterkünften auf und informierten sie über unser Projekt. Die fachlich ausgebildeten Betreuer sollten nach jungen Geflüchteten schauen, die sich für einen aggressionsfreien Kampfsport interessieren. Nachdem die ersten acht Flüchtlinge angemeldet worden waren, konnte das Projekt starten. Wir organisierten die ersten Ausflüge in die Sporthalle. Dabei wurden einige Trainingseinheiten extra für jugendliche Flüchtlinge abgehalten, um sie mit der neuen Umgebung und den einheimischen Jugendlichen bekannt zu machen. Ziel war es in einem ersten Schritt, etwaige Spannungen und Unsicherheit abzubauen.

Nach vier bis fünf Trainingseinheiten öffneten wir das reguläre Training für die Flüchtlinge. Dabei erschwerten verschiedene Hindernisse unsere Arbeit. Das erste war die Hygiene. Die meisten der Jugendlichen lebten in einer Unterkunft mit 18 Personen, in der es nur eine Dusche gab. Viele Jugendliche waren gerade mal sechs Wochen in Deutschland gewesen und sind davor in einem monatelangen langen Fuß-Marsch von Afghanistan nach Deutschland unterwegs gewesen. Sie trugen bei den Trainingseinheiten dieselben Schuhe, die sie bei ihrer Ankunft in Deutschland getragen hatten. Jedes Mal, wenn sie ihre Schuhe in der Sporthalle auszogen, leerte sich die Umkleide, kein einheimischer Junge wollte mit den geflüchteten Jungs üben. So waren sie zwar in derselben Halle, blieben aber meistens unter sich.

Um dies zu ändern, haben wir mit den Betreuern in den Unterkünften gesprochen. Sie organisierten neue Schuhe für die Flüchtlinge und kümmerten sich darum, dass sich die Jungs vor dem Training duschten. Parallel kamen immer wieder Fragen von einheimischen Kindern. Bei den ersten Einheiten staunten viele Kinder darüber, dass auf einmal Menschen mit übten, die kein Deutsch und kein Russisch verstanden haben. Es gab Kinder und Jugendliche, die diesen Umstand einfach zur Kenntnis genommen haben, und andere, die noch lange Fragen stellten; und es gab einzelne Jugendliche, die unseren Verein verlassen haben.

Ein zweites großes Problem war die Sprachbarriere und ein weiteres gravierendes die ganz unterschiedlichen Weltanschauungen und Wertevorstellungen sowie die Verhaltensmuster in Stress-Situationen. Sogar zu einer Schlägerei in der Umkleide kam es einmal zwischen zwei 16-jährigen Jugendlichen. Es gab immer wieder Anzeichen für entstehendes Konkurrenzdenken; ich als Trainer und Projektleiter war glücklicherweise immer rechtzeitig da, um die Konflikte zu lösen. Einmal haben wir im Training Hallenfußball gespielt; schon beim Spielen habe ich gesehen, dass sich ein Streit anbahnt. Als ich kurz den Raum verlassen hatte, um nach einer anderen Gruppe zu schauen, sah ich, wie zwei Jugendliche sich schlugen. Die Schlichtungsgespräche haben dann ergeben, dass sich die Jugendlichen aufgrund der misslungenen Kommunikation in die Haare bekommen haben.

Ein Beispiel: Ein Afghane und ein Russe, beide hielten sich für ziemlich „cool“ und hatten wenig Scheu vor körperlichen Auseinandersetzungen. Der Afghane sagte etwas lauter: „Mach die Tür zu“, weil er nackt war. Der Russe antwortete auch laut: „Du brauchst nicht zu brüllen“. Der Afghane hatte dies nicht verstanden und etwas gereizt gefragt: „Was willst du?“ Der Russe antwortete daraufhin: „Halt‘s Maul!“ Dies geschah im Beisein von afghanischen und deutschstämmigen russischen Jugendlichen. In beiden Kulturkreisen ist es ein Zeichen von Schwäche, ein solches Wortgefecht zu ignorieren. Kein Beteiligter kann aus dem Raum gehen, ohne das Gesicht vor seinen Freunden zu verlieren. So springt der Afghane auf und versucht den Kontrahenten zu schlagen. Der Russe verteidigt sich und verletzt den Afghanen. In diesem Moment betrete ich den Raum und beende die Auseinandersetzung. Es folgt eine Strafe für beide und ein klärendes Gespräch. Beide haben sich darauf geeinigt, dass sie sich nur auf der Matte körperlich auseinandersetzen dürfen. Heute, ist das Kräftemessen neben der Matte kein Thema mehr.

Innerhalb des Projekts konnte man genau beobachten, bei wem zuhause welche Einstellung gegenüber Geflüchteten herrschte. Jugendliche, bei denen Zuhause abwertend über Flüchtlinge gesprochen worden war, sind im Training sehr zögerlich gewesen, wenn es darum ging, als Partner einen Flüchtling für die Übungen zu wählen. Das hat uns dazu veranlasst, einen Partnerwechsel nach jeder einzelnen Übung einzuführen. So mussten automatisch alle einmal miteinander in Kontakt kommen; nach ein paar Wochen war auch diese Hürde überwunden. Die ersten Umarmungen haben wir erreicht, indem wir ein gemeinsames Ritual zur Begrüßung eingeführt haben: So gibt man dem Gegenüber die rechte Hand und umarmt sich danach kurz mit dem linken Arm. Diese Form der Begrüßung wird in vielen Kulturkreisen als ein Zeichen der Freundschaft angesehen und soll nach außen zeigen: Wir sind eng befreundet. Das haben Trainer und Erwachsene angefangen – im Training, beim Wettkampf oder bei zufälligen Begegnungen in der Stadt. Die Kinder und Jugendlichen haben das schnell übernommen.

Den stärksten Effekt haben, wie erwartet, die Wettkämpfe gebracht. Dabei waren die neuen Mitglieder teilweise schon außerordentlich sportlich veranlagt. Oftmals waren sie sehr ausdauernd. Alleine für den Marsch von Afghanistan nach Deutschland, zum großen Teil zu Fuß, benötigt man eine Ausdauer und Fitness, die in Deutschland selbst bei Leistungssportlern selten zu finden ist. So haben einige der jugendlichen Flüchtlinge sehr schnell gute Ergebnisse erreicht und im Oktober 2016 konnten sie zum ersten Mal an einem Wettkampf teilnehmen: Zwei als Kämpfer und zwei als Zuschauer. Dabei gewann einer von ihnen sogar eine Silbermedaille. Während der Kämpfe haben alle anderen der 20 Mitglieder der Mannschaft zugeschaut und sind nach einem gewonnenen Kampf jubelnd auf die Sportler zugestürmt, haben sie umarmt und ihnen gratuliert. Diese Erfolge haben dazu beigetragen, dass die einheimischen Jugendlichen die Flüchtlinge in der Mannschaft zunehmend akzeptierten.

Auch eine Hallenfußballmannschaft mit dem Namen „Sambo Heidenheim“ wurde gegründet. Mitglieder der Mannschaft waren Deutsche, Russen, Afghanen, Moldauer, diese Mannschaft hat auf Anhieb bei einem örtlichen Turnier in Giengen an der Brenz mit 24 teilnehmenden Mannschaften den zweiten Platz gewonnen.
Nach dem Hallen-Fußball-Turnier in Giengen, bei dem die „Sambo Heidenheim“ zweitbeste Mannschaft geworden waren, haben sich gleich mehrere Jugendliche aus der Memminger Wanne (ein Wohnbezirk in Giengen an der Brenz mit überdurchschnittlichen Anteil an russischsprachigen Bevölkerung) gemeldet und um die Aufnahme in die Mannschaft gebeten. Seitdem kommen Jugendliche von dort jeden Donnerstag nach Heidenheim, trainieren zusammen mit Flüchtlingen verschiedener Herkunft und Religion, bereiten sich auf ein Turnier vor und sind zu einer echten Mannschaft zusammengewachsen. Heute trainieren Jugendliche aus Afrika, dem Iran, Irak und Afghanistan mit russischsprachigen Jugendlichen zusammen. Sie bekennen sich nun öffentlich zu den Mannschaftskameraden, posten Bilder auf Facebook und Instagram und erzählen überall davon, wie toll sie die Mannschaft finden.

Genau diese Effekte wollten wir mit unserem Projekt erzielen und das ist uns gelungen.

Unser Projekt ist im Landkreis Heidenheimer auf sehr breite Zustimmung gestoßen. Es gab viel Lob und Aufmerksamkeit in der Presse, es wurde zum Beispiel ein ausführlicher Artikel über unsere Projekte in der Heidenheimer Zeitung veröffentlich. Dies löste eine spürbar positive Resonanz im Landkreis Heidenheim aus.

Ein Jugendlicher aus Afghanistan hat es geschafft, sich für die Leistungsmannschaft der Sambo-Abteilung zu qualifizieren, in der er hohes Ansehen unter der Jugendlichen genießt. Wir haben im Januar bei -8 Grad Celsius „Sambo im Schnee“ organisiert: Unter dem Titel „Sport ohne Grenzen und gegen Ausgrenzung“  haben 15 Sambo-Kämpfer, darunter auch ein afghanischer Flüchtling, im Schnee miteinander gerungen. Die Aktion wurde auf Video aufgenommen und als „Coole Sache“ ins Netz gestellt. Dieses Video wurde innerhalb von zwei Tagen 2500mal aufgerufen und die Heidenheimer Zeitung ist auf Facebook auf diese Aktion aufmerksam geworden und hat einen Artikel in der Zeitung veröffentlicht; in der Onlineversion wurde neben einer Fotogalerie sogar ein Video veröffentlicht, das unser Projekt noch bekannter gemacht hat.

Eine der tollsten Aktionen für Jugendliche ist außerdem unser Weihnachtsfest 2016 geworden, bei dem viel gelacht, getanzt und gesprochen wurde. Es war eine wunderbare Verschmelzung von deutschen, russischen und afghanischen Traditionen, Musik und Tänzen.

Mit „Sambo – Mobil, Sport gegen Ausgrenzung“ haben wir es wieder einmal geschafft, eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten herzustellen. Wir haben geflüchteten Jugendlichen eine Möglichkeit gegeben, unsere schwäbischen Vereine von innen kennen zu lernen und unsere einheimischen Jugendlichen haben dabei gelernt, dass Offenheit sich lohnt. Auf einmal war Geld für die Trikots, neue Matten, neue Aktivitäten vorhanden. Die Städte Heidenheim und Giengen haben von der positiven Resonanz profitiert und ihr Image verbessert.

Auch ein Nachfolgeprojekt wurde im Januar 2017 eingeleitet: „Momentaufnahme, positiv belichtet“. Dabei geht es darum, über positive Beispiele von gelungener Integration von Flüchtlingen in Massenmedien zu berichten. Es soll ein Gegengewicht zu all den negativen Meldungen aus dem Internet darstellen. Für dieses Projekt haben wir von der Jugendstiftung Baden-Württemberg 6500 € bekommen und wir hoffen, im Jahr 2017 die Erfolge aus dem Projekt „Sambo – Mobil, Sport gegen Ausgrenzung“ weiterführen und konsolidieren zu können.

Eduard Marker

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